Michelle Kolb
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Katharina Lehmann (rechts), CEO und Inhaberin der Blumer-Lehmann AG, im Gespräch mit Moderatorin Sabrina Lehmann. tb
Am Donnerstag war Katharina Lehmann, CEO und Inhaberin der Blumer-Lehmann AG, zu Gast im Podcast «bertaγ», der Geschichten von Ostschweizerinnen erzählt. Die Gossauerin übernahm mit 24 Jahren nach einem Schlaganfall ihres Vaters die Führung des Familienbetriebs und führte diesen zu Weltruhm.
Herisauerstrasse 25 Die Macherinnen des Podcast «berta&gamma» laden stets zu Gesprächen, die während der Aufnahme live mitverfolgt werden können. Am Donnerstag erhält das Team Gastrecht bei der Raiffeisenbank Gossau-Andwil-Niederwil. Katharina Lehmann, CEO und Inhaberin der Blumer-Lehmann AG, gibt Moderatorin Sabrina Lehmann offen Auskunft über ihre berufliche Entwicklung und gewährt auch private Einblicke. «Du leitest das Familienunternehmen seit 29 Jahren. Wie tönt das für dich?», fragt die Moderatorin nach einigen einleitenden Worten. «Das tönt furchtbar», sagt Lehmann mit einem Schmunzeln. Schliesslich sei es nie ihr Plan gewesen, den Betrieb zu übernehmen und nun sitze sie im gleichen Büro wie einst ihre Mutter. «Und ich sage heute noch, dass ich nicht hier pensioniert werde. Allerdings bin ich nicht mehr sehr glaubwürdig», erzählt die Geschäftsführerin. Als Lehmann 24 Jahre alt und noch im Studium war, erlitt ihr Vater einen Schlaganfall. «Jemand musste einspringen und den Mitarbeitenden das Gefühl geben, dass es irgendwie weitergeht», erinnert sich Lehmann. Sie habe damals keine Wahl gehabt. «Dabei hatte ich null Ahnung von der Materie», erzählt sie lachend. Als Frau, Studierte, Tochter des Chefs und erst 24-Jährige habe sie vier Handicaps für diese Position in einem Holzbauunternehmen mitgebracht. Doch sie habe sich auf viele langjährige Mitarbeitende verlassen können: «Und die Krise führte zu einem engen Verhältnis. Alle waren auch froh, dass ich da war, weil ich den Fortbestand des Unternehmens symbolisierte.»
Allerdings habe sie sich damals nicht als Chefin des Unternehmens gefühlt, sondern nur als Übergangslösung. «Das Unternehmen wuchs, es kamen neue Projekte dazu und wir waren wie eine Familie», erzählt Lehmann. So sei sie immer im Familienunternehmen geblieben, das sie in fünfter Generation führt. Lange habe sie die Angst begleitet, dass sie das Familienunternehmen in den Sand setzt. Doch das Gegenteil trat ein. Hatte das Unternehmen bei Lehmanns Amtsantritt noch 70 Mitarbeitende, sind heute rund 550 Personen in vier Ländern für den Holzverarbeiter tätig, der sich seit 2010 international als die Topadresse in Holz-Freiformen etabliert hat. «Damals haben wir eine Anfrage eines Architekten aus Korea erhalten, eine Freiform zu realisieren. Der Auftrag war technisch äusserst kompliziert, die Zeit knapp und das Land weit weg: Wir hätten ihn eigentlich nie annehmen dürfen und doch haben wir es aus Interesse an der Aufgabe getan», erzählt Lehmann. 60 Leute von Blumer-Lehmann arbeiteten während 14 Stunden täglich und über Weihnachten durch, um die Konstruktion rechtzeitig fertig zu kriegen. «Dieses Gefühl, es geschafft zu haben, diente als riesiger Motivator für das gesamte Unternehmen», erzählt Lehmann von diesem Schlüsselmoment. Als Schweizer Unternehmen sei man für einfache Bauten im Ausland viel zu teuer. «Aber in einer hochspezialisierten Nische können wir bestehen», analysiert die CEO. Innovation sei in dieser Hinsicht eine Notwendigkeit für den Erhalt eines Unternehmens.
Trotz des starken Wachstums des Unternehmens und Standorten in Deutschland, Österreich und Luxemburg bleibt das Zentrum im Erlenhof. «Wir haben eine Academy in Gossau, die es den Mitarbeitenden aus anderen Standorten erlaubt, für Wochen oder auch Monate hier zu bleiben. Mit dem angeeigneten Wissen gehen sie dann hinaus in die Welt», erzählt Lehmann. Noch müssten die Mitarbeitenden zu oft in den Erlenhof kommen. «Wir sollten als Geschäftsleitung mehr zu den anderen Standorten reisen. Aber für uns ist der Erlenhof nach wie vor das Zentrum unseres Denkens und Handelns», sagt Lehmann selbstkritisch. Dass sich ihr Betrieb von einem mit einem Wasserrad betriebenen Sägewerk zu einem international tätigen Unternehmen entwickelt hat, erklärt Lehmann auch mit der gestiegenen Bedeutung des Werkstoffs Holz, der eine hohe Nachhaltigkeit garantiere und Vorfabrikationen ermögliche. Sie gehe mit offenen Augen durch die Welt und überlege sich immer neue Anwendungsmöglichkeiten. «Und längst nicht alle Ideen stammen von mir», lobt Lehmann auch den Einfallsreichtum ihrer Mitarbeitenden.
Selbst benötige sie manchmal Distanz zum Betrieb, um auf neue Ideen zu kommen. «Die Distanz macht etwas mit meinen Gedanken», stellt sie fest. Mit ihrem Lebenspartner führt sie seit 25 Jahren eine Art Fernbeziehung, ist Lehmann doch unter der Woche in Gossau. Am Wochenende wohnt das Paar gemeinsam in Küssnacht am Rigi. Dank ihrem Partner wurde die 53-Jährige auch zur Grossmutter, obwohl sie keine eigenen Kinder hat. «Für seine Tochter bin ich die Bonus-Mama. Und die Enkelkinder sind völlig natürlich auch meine Enkel», erzählt Lehmann. Noch wenig konkrete Gedanken hat sich Lehmann über die Nachfolgelösung im Betrieb gemacht. «Selbstverständlich gehört dies auch zur Nachhaltigkeit, eine gute Nachfolge zu haben. Wichtig ist nicht, dass der Betrieb von der Familie Lehmann geführt wird, sondern dass er familiär bleibt», erklärt die Gossauerin. Aber glücklicherweise habe sie noch einige Jahre im Berufsleben vor sich: «Ich betrachte es als grosses Privileg, dass mir mein Job grosse Freude bereitet.» Und so muss die CEO nicht bereuen, dass sie im Familienunternehmen «hängengeblieben» und nicht wie in ihren einstigen Vorstellungen nach New York ausgewandert ist.
Tobias Baumann
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