Michelle Kolb
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Ralph Weber, Ex-Skiprofi und Geschäftsführer von "No Border" Schweiz.
Gut ein Jahr ist es her, seit Ralph Weber seine letzte Lauberhorn Abfahrt bestritt. Knapp ein Jahr nach seinem Rücktritt und wenige Tage vor der nächsten Lauberhorn Abfahrt erzählt der Gossauer, wie es ihm seit seinem Rücktritt ergangen ist.
Ralph Weber, wie oft sind Sie in dieser Saison schon auf den Ski gestanden?
Bisher war ich erst zwei Tage auf der Piste. Sogar meine Tochter stand diese Saison vor mir auf den Ski. Das Ziel wäre schon, etwa alle zwei Wochen in die Berge zu gehen. Aufgrund meiner neuen Arbeit ist das aber nicht immer möglich.
Wie ist es Ihnen im Jahr nach Ihrem Rücktritt ergangen?
Mittlerweile geht es mir wieder gut. Ich habe eine schöne Aufgabe gefunden und weiss, was ich zu tun habe. Direkt nach meinem Rücktritt hatte ich aber eine schwierige Zeit. Das geht vielen Sportlern so, denn man weiss, dass man solche Emotionen, wie man sie im Spitzensport erlebt hat, in seinem Leben vielleicht nie wieder erleben wird. Zudem hatte ich vor meinem Rücktritt zehn Jahre lang einen festen Ablauf. Ich wusste immer schon im Mai, wie mein Jahr bis im April aussehen wird. Auf einen Schlag hatte ich diese festen Strukturen nicht mehr. Es war nicht nur ungewiss, wie meine nächsten paar Monate aussehen werden, meine ganze Zukunft war ungewiss. Ich musste mir überlegen, was ich mit meiner Zukunft machen möchte: Will ich im Sport bleiben oder mich auf etwas vollkommen Neues einlassen.
Hatte die Zeit nach dem Rücktritt auch positive Seiten?
Ich konnte wieder mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Über den Sommer hatte ich zwar auch davor immer Zeit für meine Familie, da ich auch oft zuhause trainierte. Doch der Winter sieht jetzt ganz anders aus. Über Weihnachten hatte ich jeweils kaum zwei Tage Zeit, meine Frau und meine Kinder zu sehen. Nun habe ich die Gelegenheit, etwas von der verlorenen Zeit nachzuholen. Darüber freut sich auch unser neustes Familienmitglied: Vor zwei Wochen ist unsere Tochter Luisa – unser drittes Kind – zur Welt gekommen.
Mittlerweile haben Sie eine neue Aufgabe in der Privatwirtschaft gefunden. Wie ist es dazu gekommen?
Ein früherer Ski-Kollege hatte gemeinsam mit einem Kollegen aus dem Studium in Deutschland die Firma «No Border» gegründet. Die Firma stellt Lagerfläche für die Lagerung von Produkten aus dem Onlinehandel verschiedener Hersteller zur Verfügung und organisiert die Verpackung und den Versand dieser Produkte. Im Juni des vergangenen Jahres hatte er mich und meinen alten Teamkollegen Gilles Roulin angefragt, ob wir bei ihm einsteigen und eine Geschäftsstelle in der Schweiz aufbauen wollen. Das Angebot kam für mich sehr gelegen und ich willigte ein. Nun baue ich in Goldach die Schweizer Geschäftsstelle von «No Border» auf.
Wie gefällt Ihnen die neue Aufgabe?
Ich finde es sehr interessant. Klar, es ist etwas ganz anderes als das, was ich davor gemacht habe. Vielen erscheint das Arbeiten in einer Lagerhalle vermutlich langweilig. Aber ich finde es nach dieser langen Zeit im Spitzensport genau spannend, Einblicke in einen normalen Arbeitsalltag zu erhalten. Da ich Geschäftsführer des Schweizer Lagers bin, bin ich ausserdem mein eigener Chef. Das gefällt mir sehr.
Sie hatten Job-Angebote aus der Ski-Branche. Weshalb haben Sie sich gegen die Ski-Branche entschieden?
Ich wurde mehrfach für Trainer-Jobs angefragt und hätte vermutlich auch bei einem Ski-Hersteller einen Job gefunden. Für mich war aber relativ schnell klar, dass ich nicht im Sport-Bereich bleiben möchte. Nicht, weil mir diese Branche nicht gefällt, sondern weil ich eine neue Herausforderung gesucht habe. Die ersten 30 Jahre meines Lebens habe ich voll und ganz dem Sport gewidmet. Das war sehr spannend. Ich habe viel erlebt und viele Freundschaften geschlossen. Nun muss ich aber nochmals 30 Jahre arbeiten und möchte daher noch etwas anderes sehen. Komplett aus der Ski-Branche verabschiedet, habe ich mich aber noch nicht. Ich werde auch künftig an vereinzelten Anlässen teilnehmen. Dieses Jahr werde ich zum Beispiel beim Race-Camp für Schweizer Nachwuchsskifahrerinnen und Skifahrer des Skiherstellers Head dabei sein und mit den jungen Talenten trainieren.
Wie blicken Sie heute – knapp ein Jahr nach Ihrem Rücktritt – auf Ihre Karriere zurück?
Im ersten Moment nach dem Rücktritt dachte ich schon, es hätte vieles besser laufen können. Gerade wenn man sich mit Teamkollegen wie Marco Odermatt vergleicht, der einfach alles gewinnt. Wenn ich aber daran denke, dass es als Kind mein Ziel war, irgendwann im Weltcup zu fahren, muss ich sagen: Das habe ich erreicht. Gerade als Kind, das in Gossau aufgewachsen ist, wusste ich immer, dass meine Chancen irgendwann einmal im Weltcup zu fahren im Promillebereich liegen. Von daher schaue ich heute zufrieden auf meine Karriere zurück und bin dankbar für die vielen tollen Erlebnisse und die Menschen, die ich dadurch kennenlernen durfte.
Diesen Samstag findet die Lauberhorn Abfahrt statt. Werden Sie das Rennen vor Ort mitverfolgen?
Nein, ich bin an diesem Tag mit Swiss Ski an einem Sponsorenanlass unterwegs. Ich wurde auch angefragt, ob ich am Renntag als Vorfahrer fungieren möchte, lehnte aber ab. Ich werde aber bestimmt noch an ein anderes Rennen in dieser Saison gehen, um mit dem Team zu Abend zu essen.
Was ist Ihre Prognose für die Lauberhorn Abfahrt?
So wie es momentan läuft, muss es einen Schweizer Doppelsieg geben. Ich denke Marco Odermatt und Franjo von Almen werden gemeinsam auf dem Podest stehen. Ich tippe zudem, dass Lars Rösti unter die besten zehn fährt.
Interview von Selim Jung
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