Ursula Forrer
feierte mit der Stiftung Zeitvorsorge das 10-Jahres-Jubiläum.
Alexandra Pavlovic, Sophie Achermann, Khalil Beydonn und Lydia Wenger beim Podium. Manuel Baumann
Am Donnerstag lud das Amt für Soziales, Abteilung Chancengleichheit, in der 16. Ausgabe der Veranstaltungsreihe «Plattform» an eine Filmvorführung ins Cinétreff Herisau ein. Auf dem Podium beleuchteten drei Fachpersonen digitale Gewalt aus diversen Perspektiven und zeigten auf, wie die Bevölkerung dagegen vorgehen kann.
Hass im Netz «Ich werde dich umbringen – du Schlampe – dich sollte man vergewaltigen – du hast den Tod verdient». Das sind Nachrichten und Kommentare, welche die Frauen im Dokumentarfilm «Backlash, Misogyny in the Digital Age» erhalten haben. Im Film werden vier Frauen und ein Mann begleitet, deren Leben von Online-Gewalt betroffen ist: Laura Boldrini, die am meisten belästigte Politikerin Italiens, Kiah Morris, eine afroamerikanische Politikerin aus Vermont, die nach schweren Belästigungen und Drohungen von Rechtsextremisten zurücktrat, Marion Séclin, eine französische YouTuberin, die mehr als 40'000 sexistische Nachrichten erhielt, darunter Vergewaltigungs- und Todesdrohungen, Laurence Gratton, Lehrerin in Quebec, die mehr als fünf Jahre lang von einem ehemaligen Kollegen belästigt wurde und Glen Canning, ein Vater, dessen Tochter sich das Leben nahm, nachdem Fotos ihrer Vergewaltigung im Netz verbreitet wurden. Rund 80 Gäste waren im Kino anzutreffen. Während des Films war oft ein Raunen zu hören, nach dem Film: bedrückte Stimmung. «Ich habe den Film zum zweiten Mal gesehen, dennoch bräuchte ich einige Minuten, um das Gesehene sacken zu lassen», liess Lydia Wenger, Fachperson Gleichstellung verlauten. Diese Minuten hatte sie nicht, ging doch sogleich das Podium mit den Expertinnen und Experten los. Sophie Achermann (Public Discourse Foundation), Alexandra Pavlovic (CH Media) und Dr. Khalil Beydoun (Staatsanwaltschaft Ausserrhoden) sprachen darüber, was Hass im Netz für Betroffene bedeutet und wie man darauf reagieren kann. Auf die Frage, wie oft Hate Speech in Ausser-rhoden angezeigt wird, kam von Beydoun die Antwort: «Wir haben dazu selten Anzeigen. Was ich sagen kann, ist, dass Männer und Frauen zahlenmässig fast gleich betroffen sind», so Beydoun. Allerdings seien Frauen meist aufgrund ihres Geschlechts davon betroffen, Männer wegen dem, was sie sagen.
Pavlovic sprach darüber, wie sie bei CH Media mit Kommentaren umgehen. «Wir haben ein KI-Tool, welches die Kommentare filtert und aussortiert, die nicht der Netiquette entsprechen. Auf Social Media ist es schwerer zu regulieren, aber auch da nutzen wir ein KI-Tool», sagt sie. Die aussortierten Kommentare werden dann von Mitarbeitenden gesichtet. Zwischen 10 bis 15 Prozent der Kommentare werden gelöscht. Ein offener Diskurs sei dennoch wichtig. Dieser Meinung ist auch Achermann. «Wir müssen lernen, dass gegenteilige Meinungen kein Angriff sind. Bei Hate Speech haben wir aber die Verantwortung, Betroffene zu unterstützen. Am besten hilft, wenn ich empathisch mit der angegriffenen Person oder Gruppe bin. Dann werden Hasskommentare häufiger gelöscht», so Achermann. Beydoun betonte, dass eine Anzeige in jedem Fall sinnvoll sei. «Auch wenn es ein langatmiger Prozess ist, ist es wichtig. Je mehr Unterlagen wir haben, desto mehr können wir machen.» Anzeigen können bei der Staatsanwaltschaft oder der Polizei getätigt werden. Zusammenfassend kann gesagt werden: niemals wegschauen, für Betroffene einstehen und Anzeige erstatten.
Im Nachgang an das Podium meint Wenger, die Rückmeldungen seien allesamt ähnlich gewesen. «Das Ausmass des Hasses im Netz hat alle erschüttert. Ebenso die schwerwiegenden Folgen, die es für die Betroffenen haben kann – und dass der Film unbedingt einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden sollte»», sagt Wenger. Die Einzelschicksale seien eindrücklich, vor allem aber bedrückend. «Besonders schlimm fand ich, wie machtlos sich die Betroffenen gefühlt haben. Einerseits, weil gesetzliche Grundlagen für eine strafrechtliche Verfolgung teils fehlen und andererseits, weil die Täterinnen und Täter oft nicht ermittelt werden können. Die Betroffenen haben alles, was in ihrer Macht steht, versucht, um Recht zugesprochen zu bekommen», sagt Wenger. Sie selbst hat nie so etwas erleben müssen, kann aber immer wieder verfolgen, wie Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, grossem Hass ausgesetzt sind. «Ich glaube, wenn Frauen, wie jene im Film, derart angegriffen werden, dann ist einer der Gründe der, dass sie Machtstrukturen in Frage stellen und kritisieren. Diese Strukturen sind stark durch patriarchale Vorstellungen von traditionellen Geschlechterrollen geprägt und Hate Speech wird in diesen Fällen leider oft als Methode benutzt, um Frauen digital zum Schweigen zu bringen», so Wenger. Sie ist seit rund einem Jahr die Gleichstellungsbeauftragte beim Amt für Soziales. Die Veranstaltungsreihe «Plattform» greift Themen auf, welche von der Abteilung Chancengleichheit gesetzt werden. «Dabei organisieren wir Veranstaltungen zu Themen wie Gleichstellung von Frau und Mann, Integration von Migrantinnen und Migranten sowie Kinder-, Jugend- und Familienförderung», sagt Wenger. Der jeweilige Fachbereich bringe Ideen ein, welche Schwerpunkte gesetzt werden könnten. «Wichtig ist, einen möglichst breiten Anteil der Bevölkerung anzusprechen», sagt sie. Die Veranstaltungen sind immer öffentlich und für Fachpersonen sowie alle weiteren interessierten Personen zugänglich.
Landammann Yves Noël Balmer zeigt sich nach dem Film wenig überrascht über das Ausmass des Hasses. «Leider erstaunt mich das nicht. Was der Film aber aufzeigt, ist der teilweise nahtlose Übergang von virtueller in physische Gewalt. Das ist erschreckend», so Balmer. Man dürfe nicht meinen, in der Schweiz finde das nicht statt. «Das muss der Gesellschaft zu denken geben», sagt er. Als Politiker hat er selbst oft Nachrichten erhalten, die unter der Gürtellinie waren – besonders heftig sei es in der Zeit der Pandemie gewesen. «Schon davor ist das vorgekommen. Das erste Mal, dass es wirklich etwas mit mir gemacht hat, war bei der Waffenschutzinitiative», sagt der Landammann. Er hat sich damals dafür eingesetzt, dass die persönliche Waffe abgegeben werden soll und dass das obligatorische Schiessen ausgesetzt werden soll. «Ich habe heftige Reaktionen darauf erhalten. So heftig, dass ich heute den Rechtsweg ergreifen würde», so Balmer. Seiner Meinung nach müsse man dringend lernen, anständig in den Dialog zu treten. Es sei einfach, online hasserfüllte Kommentare zu hinterlassen, statt jemandem die Meinung ins Gesicht zu sagen. In der Pandemie wurde er einmal als Massenmörder beschimpft, als die Impfung genehmigt wurde. «Politisieren ist manchmal unpopulär und man erntet dafür Kritik. Wenn sie auf sachlicher Ebene stattfindet, kann ich damit umgehen, ist es persönlich despektierlich, habe ich Mühe», sagt Balmer.
Auch Gemeindepräsident Max Eugster sah sich den Film an. «Leider überrascht mich dieser Hass nicht. Wer mit offenen Augen durchs Leben geht, hat diese Entwicklung längst festgestellt», sagt Eugster. Das habe es schon immer gegeben, mit Social Media nehme es aber eine neue Dimension an. In den Bereichen, in denen er tätig ist, müsse er glücklicherweise nicht oft solchem Hass entgegentreten. «Ich habe aber den Eindruck, dass es etwas verloren gegangen ist, im Gespräch zu sein. Der Fokus sollte darauf liegen und nicht auf einer Position, auf der man unbedingt beharren will», meint Eugster. Da habe die Politik ebenfalls eine Vorbildfunktion, die sie einnehmen müsse. «Der gegenseitige Respekt ist das Wichtigste. Und sieht man Hate Speech, sollte man Zivilcourage zeigen und diesem etwas erwidern», so Eugster.
Stefanie Rohner
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