Walter Micone
möchte dem Quartier Tschudiwies-Centrum frischen Wind einhauchen.
Einst Bahninfrastruktur, heute Kreativraum: Im Bahnhof Bruggen blüht die Kultur. Mitten im Quartier entsteht ein offener Ort für Kunst, Begegnung und neue Ideen – getragen von Herzblut, Netzwerk und Vision.
Kultur Als Roche Hufnagl 2016 nach Bruggen zurückkehrte, war es weniger ein Plan als eine spontane Verliebtheit. «Ich sah diesen Bahnhof – und der Rest ist Geschichte», erzählt er heute lachend. Der Kulturmacher hatte sich zuvor erfolgreich in der Schweizer Kulturszene etabliert und war weit über Landesgrenzen hinweg tätig. Nach dem Verkauf des Kulturhauses Rose zog es ihn zurück ins St.Gallische. Dort entdeckte er im alten Bahnhof Bruggen einen Ort, der Geschichten erzählt – und bereit war für neue. Seitdem hat sich viel verändert. Der Bahnhof wurde zu einem Ort, an dem Ideen wachsen dürfen. Nicht alles lief linear. «Die enormen Veränderungen der letzten Jahre haben wir als Erfahrungen für unseren weiteren Weg mitgenommen. Nach dem Motto: Aufstehen, Staub abklopfen – weitermachen», sagt Hufnagl. Heute trägt ein breiteres Team die Vision mit – verschlankt, entschlackt und mit klaren Zielen: 2025 soll der Bahnhof weiter etabliert und professionalisiert werden.
Der Bahnhof Bruggen ist heute mehr als nur ein Konzertort. Mit Formaten wie der Malbar, dem Textilen Labor und dem Demari-Studio entstehen kreative Freiräume, die mit der Biografie der Menschen gewachsen sind, die hier wirken. «Der Bahnhof ist ein Spiegel seiner Beteiligten. Neue Partnerschaften und Wohnsituationen prägen das Projekt stetig neu», sagt Hufnagl. Dabei gehe es nie um Kommerz, sondern um Herzblut, Wissen und Verständnis. «Ein Format ist bei uns wie ein Sprungbrett – mit Anlauf ins Ungewisse, aber einem Fallschirm für Sicherheit.» Dass dieses Konzept funktioniert, zeigt die Resonanz aus dem Quartier – und weit darüber hinaus. «Die Neugier ist geweckt. Wir denken nicht gross, sondern authentisch», so Bruggmann. Der Bahnhof ist offen für alle: «In Bruggen feiert die Oma mit der Jugend und raved genauso hart. Herkunft steht im Pass – interessiert hier aber niemanden. Deine Kultur ist das, was uns inspiriert.» Auch Sandra Bruggmann, Künstlerin und Mitwirkende, beschreibt diesen besonderen Ort als etwas Lebendiges: «In meiner Arbeit war das Hinterfragen von Mustern immer zentral – im Bahnhof spüre ich dieselbe rhythmische Offenheit, denselben Blick für das Wiederkehrende und Wandelbare.» Ihre Erfahrungen als Textildesignerin und Druckgrafikerin fliessen in kollaborative Projekte ein, die zwischen Kunst und Alltag changieren.
Ein Herzstück bleibt das Konzertprogramm. «Wir suchen nicht nach grossen Namen, sondern nach den Perlen, die noch unter dem Radar fliegen», erklärt Hufnagl. Empfehlungen aus dem Quartier, von Künstlern oder dem weiten Netzwerk helfen bei der Auswahl. Wichtig sei, dass alle ihren Abend mitgestalten können. Das zeigt sich auch im Detail: Handys landen in Boxen, Lichtstimmungen variieren, Konzertorte wechseln zwischen Wohnzimmeratmosphäre und alten Wartesälen. «Es entsteht ein echter Austausch zwischen Kunstschaffenden und Publikum – das schätzen beide Seiten.» Beispiel gefällig? Am 10. Mai feiert der iranische Künstler 3YOONI mit seinem Album Baghdad im Bahnhof Bruggen exklusive Vorpremiere – genau ein Jahr nach seiner Debütsingle. Der Titel bedeutet «meine Augen» – ein intimer Blick in seine musikalische Welt. «Wir laden ein – nicht zu einer Show, sondern zu einem Abend, der uns allen gehört», sagt Hufnagl.
Auch wenn 2030 eine mögliche Zusammenlegung der Bahnhöfe Bruggen und Haggen geplant ist – hier bleibt man gelassen. «Das wird nur eine Haltestelle sein – wir bleiben der Bahnhof Bruggen. Ein so geschichtsträchtiges Gebäude verschwindet nicht einfach für einen politischen Leuchtturm», betont Hufnagl. Bis dahin läuft das kulturelle Programm weiter und wird künftig noch vielfältiger: Zwischen April und Juni kehrt ein regelmässiger Rhythmus zurück – mit Konzerten, Kunstaktionen, Bahnhofskino, Public Viewing des Eurovision Song Contests und mehr. Das Netzwerk, einst über Jahre aufgebaut, reicht weit über die Schweiz hinaus und trägt heute neue Früchte. Alle Gewinne fliessen direkt in die Weiterentwicklung. Was bleibt, ist der Wunsch nach mehr Verständnis für die Arbeit, die hier geleistet wird. «Menschen zusammenzubringen, während überall Spaltung geschieht – das braucht es heute mehr denn je», sagt Hufnagl. «Und vielleicht auch etwas mehr Mut, unsere Stadt unter der Woche lebendig werden zu lassen.» Bruggen will nicht alles sein, aber etwas Besonderes: Ein Ort, an dem man ankommt – und weitergeht. Nicht im Zug, sondern mit einer Idee im Kopf und einem Lächeln im Gesicht.
Von Benjamin Schmid
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