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Simone Oswald, 52, aus St.Gallen ist eine der wenigen Forensic Nurses der Schweiz. Ihr Berufsweg führte von der klassischen Pflege über die Notfallmedizin in die Forensik. Mit Empathie und Präzision bringt sie Gerechtigkeit in den Alltag.
Forensische Pflege Simone Oswald hat ihren Beruf stets als Berufung verstanden. Die gebürtige Weesenerin begann ihre Laufbahn mit der Ausbildung zur Krankenpflegerin und absolvierte später die Diplomniveaus I und II zur Pflegefachfrau. Nach mehreren Jahren auf der Bettenstation des Spitals Lachen zog es sie auf die Notfallstation, wo sie das Nachdiplomstudium in Notfallpflege abschloss. Doch nach fast drei Jahrzehnten intensiver Arbeit im medizinischen Alltag suchte sie eine neue Herausforderung – und fand sie im Forensic Nursing.
«Der Alltag auf der Notfallstation war herausfordernd, aber auch erfüllend», erinnert sich Oswald. «Den Menschen in kritischen Momenten beizustehen, war meine Motivation.» Doch es waren die oft unauffälligen, stillen Fälle – Opfer häuslicher Gewalt oder Sexualdelikte – die sie nachhaltig bewegten. «Die Unsicherheit, wie wir als Pflegepersonal mit diesen Patientinnen und Patienten umgehen sollten, war allgegenwärtig. Darf man Verdachtsmomente äussern? Wann und wie informiert man die Polizei? Das war oft unklar.» Diese Fragen weckten in Oswald das Interesse an der forensischen Pflege. Als sie auf einen Flyer des CAS Forensic Nursing der Universität Zürich stiess, war ihre Entscheidung schnell gefällt. Heute arbeitet sie am Institut für Rechtsmedizin in Zürich und bringt ihre Erfahrungen in die Spurensicherung und Betreuung von Gewaltopfern ein.
Die Arbeit einer Forensic Nurse ist anspruchsvoll und vielschichtig. Zu Oswalds Aufgaben gehören die Untersuchung und Dokumentation von Verletzungen sowie die Sicherung von Beweismitteln, etwa durch Spuren am Körper oder an der Kleidung der betroffenen Personen. «Es geht darum, Gewalt sichtbar zu machen – sei es häusliche Gewalt, sexuelle Übergriffe oder Körperverletzungen», erklärt die 52-Jährige. In enger Zusammenarbeit mit Polizei, Staatsanwaltschaft und Rechtsmedizinern erstellt sie Berichte, die später in Strafverfahren verwendet werden können. Dabei ist Präzision das A und O: «Jede Verletzung muss exakt dokumentiert werden, von ihrer Grösse bis hin zu ihrem Zustand. Unsere Arbeit trägt massgeblich zur Sicherstellung von Beweisen, vor allem in Fällen, in denen es vorerst keine Anzeige gibt, bei.»
Besonders anspruchsvoll ist die objektive Haltung: «Egal, ob wir mit Opfern oder Tatverdächtigen arbeiten – wir müssen stets sachlich und unparteiisch bleiben.» Ihr Werkzeugkasten umfasst eine Vielzahl technischer Hilfsmittel: von speziellen Kits für die Sicherung biologischer Spuren bis hin zu Fotokameras für die präzise Dokumentation von Verletzungen. Doch nicht nur die medizinisch-forensische Expertise zählt, auch psychologisches Feingefühl ist gefragt. «Ein respektvoller und empathischer Umgang ist essenziell, um eine Retraumatisierung zu vermeiden. Die betroffenen Personen werden in jeden Untersuchungsschritt einbezogen und behalten die Kontrolle über den Ablauf.» Eine besondere Herausforderung sieht Oswald in der emotionalen Belastung ihrer Arbeit. Gewalt und Missbrauch hinterlassen nicht nur bei den Betroffenen Spuren. «Die Geschichten, die ich höre, gehen nicht spurlos an mir vorbei. Doch mit Musik und Sport finde ich meinen Ausgleich.» Der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen hilft ebenfalls, das Erlebte zu verarbeiten. Neben der praktischen Arbeit ist Oswald auch an der Ausbildung neuer Fachkräfte beteiligt. «Ich habe Forensic Nursing bereits an meinem früheren Arbeitsplatz implementiert und Kollegen sensibilisiert. Es ist wichtig, dass Spitalpersonal die Rolle von Forensic Nurses versteht und erkennt, wann forensische Untersuchungen erforderlich sind.»
Forensic Nursing ist in der Schweiz noch eine junge Disziplin. «Vor zehn Jahren wusste kaum jemand, was Forensic Nursing ist. Mittlerweile gibt es mehr Studiengänge und Veranstaltungen, wie das Schweizer Forensic Nursing Forum. Doch die Integration in Spitäler ist noch ausbaufähig», sagt Oswald. Zu den grössten Herausforderungen zählen die emotionale Belastung und der Umgang mit Gewaltopfern. «Psychohygiene ist enorm wichtig», betont sie. Auch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachbereichen erfordert viel Kommunikation und Verständnis. Trotz der Hürden sieht Oswald die Zukunft optimistisch. «Forensic Nurses tragen entscheidend zu einer Verbesserung der Betreuung von Gewaltbetroffenen bei und leisten wertvolle Arbeit in der Prävention. Ich möchte angehende Fachkräfte ermutigen, dranzubleiben und sich fortzubilden – dieser Beruf verbindet Medizin, Recht und Menschlichkeit auf einzigartige Weise.»
Von Benjamin Schmid
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