Gabriela Eberhard
hat eine Interpellation zur Beflaggung der Stadt zur Pride 2025 eingereicht.
Die Landeskirchen der Stadt St.Gallen zählen immer weniger Mitglieder (Symbolbild: Leere Bänke in der Kirche St.Laurenzen in St.Gallen).
Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Das könnte zum Problem werden, befürchten mehrere Mitglieder des Stadtrates. Der Grund: Das freiwillige Engagement der Kirchen in diversen sozialen Bereichen kann aufgrund des Mitgliederschwunds langfristig kaum noch geleistet werden.
Kirche In den letzten Jahrzehnten hat die Zugehörigkeit zur römisch-katholischen und evangelisch-reformierten Kirche in St.Gallen stark abgenommen. Ein Blick in die Statistik zur „Konfessionszugehörigkeit der ständigen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren“ zeigt einen markanten Rückgang: 1970 zählten fast 53 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung zur römisch-katholischen Kirche, doch dieser Anteil ist seit den 1990er Jahren stetig gesunken und liegt heute bei nur noch knapp 33 Prozent. Ein ähnlicher Rückgang zeigt sich bei der evangelisch-reformierten Kirche: Vor 50 Jahren gehörten ihr noch rund 42,5 Prozent der Stadtbewohner an, heute sind es lediglich etwa 17 Prozent. Diese Entwicklung geht mit einem Anstieg der konfessionslosen Bevölkerung einher. Während 1970 nur ein Prozent der St.Gallerinnen und St.Galler sich keiner Konfession zugehörig fühlten, ist dieser Anteil bis heute auf fast 29 Prozent angewachsen. Dieser Mitgliederschwund hat direkte finanzielle Folgen. Eine Studie des Beratungsunternehmens Ecoplan aus dem Jahr 2022 zeigt auf, dass die Kirchensteuern natürlicher Personen aufgrund der sinkenden Mitgliederzahlen bis 2045 deutlich zurückgehen werden. Für die evangelisch-reformierte Kirche erwarten die Studienverfasser einen Rückgang der Kirchensteuereinnahmen um etwa einen Viertel, während die römisch-katholische Kirche mit einem Minus von einem Sechstel rechnet.
„Sicher ist es so, dass uns die Austritte Sorge bereiten“, erklärt Andreas Ackermann, Kommunikationsbeauftragter der Evangelisch-Reformierten Kirche des Kantons St.Gallen. Mit dem Anstieg an Austritten in den letzten beiden Jahren – wobei es sich nicht mehr nur um Junge handle – seien auch die finanziellen Lücken grösser geworden. Dies mache Einsparungen unausweichlich, was auch Leistungseinschränkungen nach sich ziehe. „Wo gespart wird, hängt natürlich sehr von den Prioritäten der jeweiligen Kirchgemeinden ab. Fest steht, dass die Kirchgemeinden inzwischen mit weniger Ressourcen auskommen müssen – sowohl personell als auch finanziell“, sagt Ackermann. Der Personalabbau habe zudem zur Folge, dass es schwieriger werde, Freiwillige zu finden, da weniger Personal weniger Zeit für die Freiwilligenkoordination aufbringen kann. Auch bei der römisch-katholischen Kirche ist die Lage angespannt. Sonja Gemeinder, Präsidentin des Kirchenverwaltungsrats der katholischen Kirchgemeinde St.Gallen, berichtet, dass bisher keine sozialen Angebote oder Leistungen gestrichen wurden. Doch arbeitet die katholische Kirche an einem pastoralen Gesamtkonzept, das helfen soll, Prioritäten für die kommenden Jahre festzulegen. „An den Hauptstandorten Bruggen, Dom und Neudorf wollen wir festhalten, während die Infrastruktur in den Quartieren früher oder später reduziert werden muss“, so Gemeinder. Auch beim Personal müsse man sich immer wieder neu ausrichten, da auch die katholische Kirche den Fachkräftemangel zu spüren bekomme. Dies erfordere eine flexible Planung, um trotz der Herausforderungen die wichtigsten Leistungen aufrechtzuerhalten.
Die finanziellen Schwierigkeiten und die möglichen Auswirkungen auf soziale Angebote und Engagements der Landeskirchen haben auch einige Mitglieder des Stadtparlaments alarmiert. Die Mitte/EVP-Fraktion sowie weitere Parlamentsmitglieder reichten am 25. Juni 2024 eine Interpellation unter dem Titel „Leistungsabbau der Landeskirchen – Kosten für die Stadt?“ ein. Die Parlamentsmitglieder wollten vom Stadtrat erfahren, inwiefern die Stadt die Landeskirchen bei der Aufrechterhaltung ihrer sozialen Leistungen unterstützen könne, falls deren Mittel weiter sinken sollten. In seiner Antwort erklärte der Stadtrat: „Aus heutiger Perspektive sehen wir keine Möglichkeit, abzuschätzen, ob und welche städtischen Leistungen zur Unterstützung nötig werden könnten, da von den Landeskirchen noch keine Verzichtsplanungen vorliegen.» Der Stadtrat betonte jedoch die Bereitschaft der Stadt, bei geplanten Kürzungen gesamtgesellschaftlicher Leistungen das Gespräch zu suchen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. In der jüngsten Sitzung des Stadtparlaments äusserte sich Stadtparlamentarierin Esther Granitzer im Namen des katholischen Kollegiums zum Thema Leistungsabbau. Sie betonte, dass der Wegfall kirchlicher Leistungen nicht nur die sozialen Angebote der Kirche betreffe, sondern auch erhebliche finanzielle Belastungen für die Stadt St.Gallen nach sich ziehen würde. Da die Kirche einen grossen Teil ihrer Leistungen durch freiwilliges Engagement abdecke, müsste die Stadt bei einem Rückzug der Kirche deutlich höhere Mittel aufbringen, um dieselben sozialen Leistungen zu gewährleisten. „Ich selbst war mit der Antwort des Stadtrats nur teilweise zufrieden. Der Stadtrat zählt zwar einige Leistungen der Landeskirchen auf, die er wertvoll findet, ist sich selber jedoch kaum der Tragweite insbesondere für die Stadt St.Gallen bewusst, wenn die Landeskirchen ihre sozialen und gesellschaftlichen Leistungen abbauen müssten“, so Granitzer.
Granitzer wies zudem darauf hin, dass die Bedeutung kirchlicher Leistungen häufig unterschätzt werde. So betreibe der katholische Konfessionsteil die Stiftsbibliothek und die Kathedrale, die zum Weltkulturerbe des Stiftsbezirks St.Gallen zählen und damit eine bedeutende kulturelle Rolle für die Region haben. Darüber hinaus fliessen etwa neun Prozent der katholischen Kirchensteuern in die Klosterschulen, darunter die „Flade“, für die 2025 allein fast 19 Millionen Franken budgetiert wurden. Zudem gehen rund 16 Prozent der Steuern an Musikschulen, Orchester und Chöre. Die Caritas und andere soziale Institutionen erhalten ebenfalls einen bedeutenden Anteil von etwa 40 Prozent der Kirchensteuereinnahmen. Granitzer betonte, dass viele dieser Einrichtungen ohne die kirchliche Unterstützung nicht überleben könnten. „Begrüssenswert wäre ein gutes Miteinander auf kommunaler und kantonaler Ebene, stabile Leistungsvereinbarungen in den Bereichen Bildung, Soziales und Kultur und dass die Stadt, der Kanton und die Bevölkerung anerkennt, was die Kirche alles leistet“, forderte Granitzer abschliessend. Angesichts des anhaltenden Mitgliederschwunds bleibt unklar, wie lange die Kirchen ihre sozialen und kulturellen Aufgaben in bisherigem Umfang erfüllen können und welche Rolle die Stadt künftig in dieser Entwicklung spielen wird.
Selim Jung
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