Ursula Forrer
feierte mit der Stiftung Zeitvorsorge das 10-Jahres-Jubiläum.
Während über einem Jahrtausend verband ein Weg von der St.Galler Altstadt über das Platztor, die St.Jakobstrasse hinauf nach Rotmonten und dann hinunter nach Wittenbach und über den sanften Bodenseerücken nach Konstanz. Aus dem rege begangenen Weg wurde eine mittelalterliche Strasse, die Konstanzerstrasse, heute Alte Konstanzerstrasse genannt.
Verkehrswege Ein besonderes Merkmal ist die Überwindung des höher gelegenen Rotmonten und das starke Abfallen Richtung Wittenbach. Es handelt sich hierbei aber um die direkteste und kürzeste Verbindung. Die Strecke über Heiligkreuz-Kronbühl ist wesentlich länger. Die Bewältigung des Berges erschien ursprünglich weniger mühsam als die längere Route, die heute stark befahrene Strasse St.Gallen-Wittenbach.
Insgesamt können in der tausendjährigen Zeit der Alten Konstanzer-strasse einige Abschnitte unterschieden werden. Ab dem 8./9 Jahrhundert bis Mitte des 13. Jahrhunderts war sie eine Pilgerstrasse zum Wallfahrtsort St.Gallen. Es folgte bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts die Militär- und Kriegsstrasse im Netz der Deutschen Reichsstrasse. Dann erhielt sie bis 19. Jahrhundert den Charakter einer Güterstrasse für Transporte von Waren aus Konstanz und des Fürstabtes. Fast gleichzeitig wurde sie zur «Leinwandstrasse». Nach Andreas Thommen («Die Alte Konstanzerstrasse») darf man die Alte Konstanzerstrasse auch als Verwaltungsstrasse bezeichnen, denn das Kloster hatte links und rechts viele Besitztümer, die besucht und auch unterhalten werden mussten. Es entstanden Wirtshäuser und Kornspeicher. Seit der Unterwerfung der Schweiz durch Napoleon ist die Alte Konstanzerstrasse beliebter Wander- und Spazierweg, der immer wieder an seine grosse Vergangenheit erinnert und durch sehr abwechslungsreiche Landschaften führt. Unterschiedlich ist die Signalisation. In St.Gallen ist sie zunächst als «Rössliweg» angeschrieben, dann ist sie in Rotmonten durch Überbauungen auf der ursprünglichen Route über neue Strassen ohne Hinweise wieder zu erreichen. Vorbildlich ist sie dann oben auf dem bewaldeten Weg bis nach Wittenbach angeschrieben.
Vor genau 1050 Jahren besuchte der spätere Kaiser Otto II von Konstanz her das Kloster St.Gallen. Der kaiserliche Tross mit Pferden und Sänften, begleitet von viel Dienstpersonal, benutzte auf seiner Fahrt die Alte Konstanzerstrasse. Bischof Konrad von Konstanz, gestorben 975, ritt mit Gefolge mehrmals nach St.Gallen und zurück nach Konstanz. Von Bischof Konrad ist auch bekannt, dass er dem Kloster St.Gallen in grosser Not Hilfsgüter über die Alte Konstanzerstrasse zukommen liess. Insbesondere die hohen Festtage brachten Scharen von Besuchern auch aus der Bodensee-Region ins Kloster. Dass es sich damals um eine «geistliche» Landstrasse handelte, geht auch aus den vielen alten, aber auch erneuerten Wegkreuzen und Bildstöcken hervor, die noch heute am Wegrand stehen. In seinem Buch rechnet Thommen, dass in etwa 500 Jahren über eine halbe Million Pilger, Wallfahrer und geistliche Boten diesen Weg gegangen sind.
Zu jener Zeit ermöglichte die Alte Konstanzerstrasse kein bequemes Reisen. Noch immer ist da und dort die Technik der Prügelstrasse zu entdecken. Es wurden Holzprügel geschaffen und aneinandergereiht, wie dies schon die Römer bewerkstelligten. Doch es gab im Laufe der Jahrhunderte auch aufgrund neuer technischer Möglichkeiten immer wieder Verbesserungen.
Als die Ungarn um 926 ins Kloster St.Gallen einfielen, muss die Alte Konstanzerstrasse bereits bestanden haben. Jedenfalls brachten die Mönche Klosterschätze und Teile der Bibliothek in eine Fluchtburg, die «Waldburg» bei Unterlören. Kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Konstanz und St.Gallen selbst gab es aber während vieler Jahrzehnte. Dabei ging es um Bedeutung, Einfluss und Vermögen geistlicher Herren beider Städte, namentlich zwischen Bischof Eberhard II von Konstanz (1248 bis 1274) und dem St.Galler Abt Berchtold von Falkenstein (1244 bis 1272). Immer häufiger kam es zu Warentransporten, die oft mit Begleitschutz erfolgten. Zur Zeit der Appenzeller Kriege (1405 bis 1408) und während des Dreissigjährigen Krieges gelangte die Alte Konstanzerstrasse zu besonderer militärischer Bedeutung. Danach erreichte der Leinwandhandel einen Höhepunkt. Der Konstanzer Leinwandhandel lag aus kriegerischen Gründen wiederholt darnieder und der Bodenseeraum deckte sich zur Hauptsache mit Leinen aus St.Gallen ein, vor allem über die Alte Konstanzerstrasse.
Früher begingen die Wittenbacher, wenn sie zu Fuss nach St.Gallen zur Arbeit oder auch zur Schule gelangen wollten, die Alte Konstanzerstrasse als die kürzeste Verbindung. Die Steigung scheint keine besondere Mühe bereitet zu haben. Heute ist die Route ein beliebter Wanderweg: Bernhard Kobler prophezeite in einem Aufsatz in der «Gallusstadt» 1945 richtig, als er festhielt: «Nach endgültiger Erledigung des Weltkrieges und seiner Nachwehen wird die Alte Konstanzerstrasse besonders in ihrem unteren sanktgallischen Teil wieder zu Ehren kommen. Mit dem in Aussicht stehenden sehr regen Strassenverkehr sucht der Wanderer unwillkürlich die angenehmen Feld- und Flurwege auf, von denen es von St.Gallen nach Muolen gerade auf der Alten Konstanzer Strasse eine Menge gibt.»
In St.Gallen ist die Alte Konstanzer-strasse zunächst als Rössliweg angeschrieben und beginnt beim Restaurant «Cavallino», eine Übersetzung von «Rössli» ins Italienische. Früher wurde das bis 1891 bestehende Gasthaus «Rössli» von Fuhrleuten gerne aufgesucht, konnten sie doch in den Stallungen Pferde und Esel unterbringen und füttern. Bis zur Eingemeindung von 1918 lag hier die Stadtgrenze, die mit einem Wegkreuz markiert war. Recht idyllisch verläuft der Weg zwischen ausgedehnten Gärten. Der Gerhaldenbach im Tobel neben dem Weg lässt vermuten, die Stadt werde jetzt verlassen, doch das ist natürlich schon lange nicht mehr so. Typisch für St.Gallen ist die grosse Nähe zur ursprünglichen Landschaft schon mitten im Siedlungsgebiet, wie dies auch hier der Fall ist. Oberhalb der Hölderlinstrasse wird der ursprüngliche Weg durch neuere Überbauungen unterbrochen und der Wanderer ist heute gezwungen, die Strassenkreuzung Sonnenhaldenstrasse / Gerhaldenstrasse zu überqueren, um östlich den Tanneichenbach zu erreichen.
Bald befindet man sich beim Haus «zur sonnigen Höhe», einem zweihundert Jahre alten bäuerlichen Haus und erreicht dann über «Heiden» die Kirchlistrasse. Im Wald wird nicht der Bächlerweg Richtung Wildpark und Restaurant Peter und Paul gewählt, sondern bei der Weggabelung der nördlich ansteigende Weg. Von hier aus ist bis Wittenbach eine mustergültige Signalisation vorhanden, sodass ohne Probleme die historische Route begangen werden kann. Schon befindet man sich auf dem höchsten Punkt der Alten Konstanzerstrasse mit 795 Meter über Meer. Seit 1984 befindet sich hier ein Funk- und Sendeturm. Vom Sandrain geht es wieder hinunter zum Bruggtobel. Auf der rechten Seite ist ein Grenzstein Tablat/Wittenbach zu sehen. Heute verläuft hier die Gemeindegrenze zur Stadt. Beim Austritt aus dem Wald gelangt man ins Gebiet Zil und Steigwald hinunter nach Steig. Auf einer kurzen, ziemlich stark abfallenden Strecke befindet sich der Wanderweg zur Abkürzung am Waldrand auf der Wiese.
Die Verbindung hat speziell im Waldbereich heute kaum den Charakter einer Strasse. Es handelt sich an manchen Stellen eher um einen unbefestigten Saumpfad, der diverse forstliche Transportwege und besser ausgebaute Wanderwege von Osten nach Westen durchkreuzt. Zumindest bei oder nach Regenwetter ist hier gutes Schuhwerk erforderlich. Für Kinderwagen ist die Strecke im Wittenbacher Wald nicht geeignet.
Aufschüttungen aus Lehm über Stein und Wurzeln fallen auf. Es muss sich um Veränderungen aus Menschenhand handeln. Einige runde Bollersteine am Weg erinnern an den alten Saumpfad. Die Entstehung der Erdwallanlage ist umstritten. Es könnte sich um Befestigungs-anlagen aus dem Franzosenkrieg 1798 handeln, aber auch um Schützengräben aus dem Ersten Weltkrieg. Andere Historiker meinen, dass hier keltische Fluchtburgen gestanden haben könnten. Jedenfalls ist sicher, dass hier Sicherheitsposten des Klosters und der Stadt eingerichtet waren. Denn die Transporte mussten bewacht und beschützt werden.
Bequem ist Erlacker-Erlenholz zu erreichen. Schon ist die alte Kirche Wittenbach zu sehen. Weiter geht es über Ulrichsberg zu den Gebieten Grüntal, Möslen, Unterlören bei der Staatsstrasse, Chrüzegg und Lömmenschwil. Wittenbacher gingen früher zu Fuss über die sogenannte «Prügelbrugg», also die Alte Konstanzerstrasse in die Stadt, weil es die kürzeste Verbindung darstellte. Im Weiler Hurliberg steht der ehemalige renommierte Gasthof «Drei Eidgenossen». Die Alte Konstanzerstrasse führt dann mitten durch die Häusergruppe von Lömmenschwil. Die weite Sicht auf den Thurgau prägt die folgende Strecke über Sonnenberg nach Hagenwil mit dem gut erhaltenen Wasserschloss, das zu einem Zwischenhalt einlädt. Es folgen Räuchlisberg mit dem Gasthof Linde. Die thurgauische Strecke verläuft über Oberaach, Langrickenbach, Herrenhof, Zuben und Schönenbaumgarten, also in der Nähe der heutigen Staatsstrasse nach Kreuzlingen und Konstanz. Ohne Fachwissen ist es allerdings wegen der ungenügenden Signalisation schwierig, in einzelnen Bereichen die historische Strasse genau zu begehen. Überbauungen haben an diversen Orten den früheren Weg abgeschnitten.
In seinem Aufsatz «Unterwegs auf der Konstanzerstrasse» brachte es der St.Galler Historiker Peter Müller auf den Punkt, was es mit dieser historischen Route auf sich hat : «Wer beim Restaurant Cavallino nordöstlich des Olma-Areals den Weg unter die Füsse nimmt, macht schon bald eine spannende Beobachtung: Die vertraute Alltagswelt rückt in eine historische Distanz. Man sieht sie sozusagen mit den Augen eines mittelalterlichen Kaufmanns oder frühneuzeitlichen Beamten. Das ist nicht ohne Reiz.»
Von Franz Welte
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