Ursula Forrer
feierte mit der Stiftung Zeitvorsorge das 10-Jahres-Jubiläum.
Der Kinderladen «Ahoi» im Spisermarkt in St.Gallen ist schweizweit der erste Laden mit Fokus auf Inklusion, Diversität und Nachhaltigkeit. Neben Secondhandkinderkleidern werden diversitätssensible Spielsachen und inklusive Kinderbücher angeboten. Ein Konzept, das begeistert und bewegt.
Barrierefrei Hell leuchten die Spots von der Decke auf die farbenfrohen Kinderkleider. Das Regal ist voller Bücher und Spielsachen. Mein Blick fällt auf einen Kletterturm mit angrenzendem Bällebad, schweift durch den stilvoll eingerichteten Raum und landet schliesslich bei den vielen Puppen, die feinsäuberlich im Wandgestell aufgereiht sind. Ein Kinderladen, wie es sie viele gibt. Doch bei genauerem Hinschauen entdecke ich, dass hier nicht alles der Norm entspricht: Hier Tastbilder- und Gebärden-Wimmelbücher sowie Sachbücher über Rassismus, häusliche Gewalt und Geschlechterrollen, da diverse Puppen inklusive Hörgeräte und Kommunikationstafeln, die das gemeinsame Spielen über Sprach- und Kommunikationsbarrieren hinweg ermöglichen. Der Kinderladen «Ahoi» ist inklusiv, divers und nachhaltig.
Hinter dem schweizweit einmaligen Konzept stehen drei Frauen: Die Geschwister Simone und Martina Russi sowie Julia Gehring. Während für Simone Russi als Heilpädagogin und Leiterin des Autismusverlags in St.Gallen die Themen Inklusion und Diversität eine Herzensangelegenheit sind, bringt ihre Schwester Martina, die Modedesign studiert hat, ein Faible für Kleider mit. Abgerundet wird das Trio von der gelernten Buchhändlerin und studierten Künstlerin Julia Gehring, die sich in der Welt der Bücher und Ästhetik bestens auskennt. «Kinder, die aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft, Körperform, ihrem Familienmodell oder einer Beeinträchtigung nicht der Norm entsprechen, sind leider immer noch unterrepräsentiert in der Spielzeug- und Bücherwelt», erörtert Gehring. «Wir möchten mit dem Laden einen Beitrag dazu leisten, dass diese Kinder sich richtig fühlen, so wie sie sind und sie dazu ermutigen, ihre eigenen Stärken zu entdecken.» Die Frauen stecken nicht nur viel Herzblut und Leidenschaft in das Projekt, sondern auch Fachwissen und Erfahrung. Der Name sei Programm und stehe für Aufbruchstimmung und das Überwinden von Grenzen. «Wir wollen nicht nur sensibilisieren, sondern verändern», sagt Gehring, «und Veränderungen beginnen bei den Kindern.»
Durch zahlreiche positive Rückmeldungen sowie den im Frühjahr erhaltenen Publikumspreis des Start-up-Preises «Startfeld Diamant» der St.Galler Kantonalbank, fühlen sich die Frauen in ihrem Handeln bestärkt. «Unser Konzept trifft den Nerv der Zeit», ist Gehring überzeugt, «Themen wie Inklusion, Diversität und Nachhaltigkeit sind aus dem öffentlichen Diskurs nicht mehr wegzudenken.» Die 36-jährige Winterthurerin freut sich stets auf die Arbeit. Einerseits auf die vielen bereichernden Begegnungen und Gespräche, andererseits zu wissen, im Kleinen Grosses zu bewirken und dank der sinnstiftenden Tätigkeit Menschen einen Mehrwert zu geben. «Einander zu unterstützen ist besser als gegeneinander zu arbeiten», sagt die Mutter einer dreijährigen Tochter. Man müsse keinem Ideal nacheifern, um sich gut zu fühlen. Dass alle Menschen anders seien, mache die Welt so spannend.
Ein Jahr nach der Eröffnung sind die Frauen mit der Entwicklung des Ladens zufrieden. «Es läuft immer besser», verrät Gehring. Dennoch stecke viel ehrenamtliche Arbeit dahinter. Um die Rentabilität und letztlich das Überleben des Kinderladens zu garantieren, müsse noch mehr verkauft werden. «Künftig möchten wir gerne noch mehr Hilfsmittel für Puppen selbst produzieren. Wir hätten auch Lust eigene Bücher zu schreiben, zu illustrieren und zu verlegen», so Gehring. Darüber hinaus halte man stets Ausschau nach den neusten Büchern und Spielwaren, erweitere das Sortiment mit nachhaltigen Angeboten und rühre die Werbetrommel mit Workshops und Lesungen.
Im Alltag komme es oft vor, dass Kundinnen und Kunden die Arbeit wertschätzen. «Über den Publikumspreis der St.Galler Kantonalbank haben wir uns sehr gefreut», sagt Gehring. Er sei nicht nur eine öffentliche Anerkennung ihrer Arbeit, sondern Motivation, das Projekt weiterzuführen und noch mehr zu etablieren. Tatsächlich sei es schon vorgekommen, dass Kinderbuchautorinnen vorbeigekommen seien, um sich im Laden Inspiration für ein neues Projekt zu holen. «Es gibt kaum ein grösseres Lob, als wenn sich Fachpersonen bei uns informieren und sich mit unseren Büchern weiterbilden», erklärt Gehring. Weil immer mehr Menschen auf ihren Laden aufmerksam werden, haben sich die Frauen dazu entschlossen, die Öffnungszeiten anzupassen. Seit Anfang September hat der Kinderladen neu auch dienstags geöffnet. «Ausserdem empfangen wir unsere Kundinnen und Kunden eine Stunde früher», sagt die Buchhändlerin, «schliesslich leben wir den Traum, die Welt zu verändern, damit sich alle Kinder wohl und akzeptiert fühlen, so wie sie sind.»
bs
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